UTE LEHMANNS neue Arbeiten zum Thema Kommunikation

von Andrea Nießner

 

KOMMUNIKATION

 

Die neuesten Arbeiten von Ute Lehmann, nach einer längeren Schaffenspause und einem Suchen nach neuen Techniken und Möglichkeiten entstanden, nehmen eines der wichtigsten Themen unserer Zeit auf: Kommunikation. Während Kommunikation im ursprünglichen Sinn eine Sozialhandlung zwischen Lebewesen bedeutet, eine Teilhabe, in der etwas Gemeinsames entsteht (lat. communicare = teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen), versteht man heute darunter meist einen Austausch oder eine Übertragung von Informationen. Mittlerweile auch als Erfolgsfaktor einer Unternehmung betrachtet, nimmt sie zunehmend eine zentrale Rolle in unserer Lebenswelt (Beruf, Privatbereich) ein. Wenn Henry James (1842 – 1910) sagt: „Aus vielen Worten entspringt ebensoviel Missverständnis“, können wir uns die Frage stellen, ob quantitativ mehr Kommunikation für uns selbst tatsächlich ein besseres Verständnis zu schaffen imstande ist.

Dass große Mengen an Daten innerhalb kürzester Zeit übermittelt werden können, fasziniert uns ohne Zweifel. Kommunikation kann uns aber auch bedrohen und zu überwachbaren, berechenbaren Figuren in einer vordefinierten Konfiguration machen.

 

Auf viereckigen, quadratischen oder rechteckigen aufgerauten Wandplatten mit kleinen, runden, kraterähnliche Erhebungen, aus denen wurmförmige, einander zu- oder abgewandte bzw. parallel laufende, immer dünner werdende Tentakel herauswachsen, männlichen Samenzellen mit ihren Geißeln nicht unähnlich, stellt Ute Lehmann in ihrem konkreten Medium verschiedene Formen von Kommunikation dar.

Überträgt man es auf die menschliche Kommunikation, zeigen diese Arbeiten insofern eine Entwicklung, als die Künstlerin aus der behutsamen Annäherung, einem Aufzeigen der verschiedenen Möglichkeiten einer Kontaktaufnahme in den ersten Arbeiten dieser Serie bis zu einem Zustand der Festlegung einer kommunikativen Interaktion, im Positiven wie im Negativen, überdeutlich in den Titeln, hinführt, also eindeutig Position bezieht, wogegen sie in ihren früheren Arbeiten „…jede Menge Freiraum für Phantasie und Interpretation des Betrachters lassen will“ (Dr. Christa Svoboda 2001 zu ihren Arbeiten).

 

Diese behutsame Annäherung zeigt das erste Objekt dieses Zyklus schon im zersplitterten Titel („Komm-unikat-ion“), vor allem aber in der technischen Ausführung: die „Wurmfortsätze“ scheinen noch potentiell beweglich zu sein, ihre Windungen nicht festgelegt. Man könnte sich vorstellen, dass sie sich weiterwinden und einmal in diese, dann in jene Richtung ihre Fühler ausstrecken. Und doch bleiben die Einzelintentionen isoliert.

 

Bei den später entstandenen Arbeiten legt sich Ute Lehmann sehr wohl auf eine Aussage fest: das Objekt „Anders“ und das Objekt „Gleich“ stellen jeweils das Einzelindividuum einem anderen oder der Masse gegenüber.

Die „beiläufige“ Darstellung des Objekts „Gleich“ (horizontal) korrespondiert mit der ebenso „beiläufigen“ Darstellung des Objekts „Anders“ (vertikal), womit erahnbar wird, wie wenig Unterschied zwischen diesen Oppositionen möglich ist.

 

Im Objekt „Du nicht“ sieht sich der „Außenseiter“ mit einem beherrschenden, in diesem Fall fast brutal aus der Grundfläche herausgewachsenen „Gewürm“ konfrontiert, die Kombination von glatter, neutraler Plattenoberfläche und den präzise herausgearbeiteten „Fortsätzen“, die dick und fest verankert ihre fragilen Enden in eine vorgegebene Richtung strecken, haben etwas penetrant Unverrückbares an sich. Verstärkt werden die Effekte noch durch die Schatten, die diese herausgehobenen Teile je nach Belichtung auf die Grundfläche dieser Wandplatten werfen.

 

Mit dem Objekt „Stop“ – also bis hierher und nicht weiter – zeigt Ute Lehmann im Gegensatz zu den fragil wirkenden anderen Arbeiten der Serie „Kommunikation“ einen kräftigen, beinahe grob anmutenden Wurm, der das Wandquadrat nach hinten durchbricht, um über dessen Rückseite das Medium (welches das „Stop“ einfordert) zu unterwandern, und sich dahinter wieder an die Oberfläche herauszuwinden. Der Übergriff ist also schon geschehen. So liegt die Frage nahe: Kann ich mich vor Übergriffen überhaupt schützen? Worauf es keine eindeutige Antwort gibt, wenn man die Möglichkeiten bedenkt, wie solche Übergriffe heute technisch möglich sind.

 

„Hi“ – ein immer häufiger in allen Gesellschaftsschichten verwendetes pseudooptimistisches Kürzel der Kommunikation, stellvertretend für einen lockeren, unverbindlichen Lebensstil, kommt quasi als Sprechblase aus zwei sich gegenüberstehenden „Mündern“ (wie Spinnenfinger, die sich – von rechts und links kommend – zur Mitte der querformatigen Platte hin öffnen).

Bei diesem Objekt hat Ute Lehmann eine völlig neue Technik angewendet: Zunächst hat sie auf eine Gipsplatte Tontropfen mit dem Schriftzug „Hi“ aufgebracht, die beim Trocknen eine kleine Mulde an den obersten Stellen der Tropfen entstehen haben lassen. Diese Gipsplatte hat sie fotografiert, das Bild grafisch bearbeitet (den Effekt der Tiefen und Höhen verstärkt) und eine Folie dieser Fotografie anfertigen lassen, die sie auf ein Plastikbrett aufgeklebt hat (Holz erwies sich als ungeeignet, da sich die Folie davon abgelöst hat). Die herauswachsenden Keramikteile hat sie aufgeklebt, die Folie mit Acryl bemalt und mit einem Pinsel eine Paste - mit Marmorsand vermischt – in mehreren dünnen Schichten aufgetragen, um dem Objekt mehr Plastizität zu geben. Die Knöpfe am Untergrund sollen symbolisch als abstrahierte Tastatur fungieren, die einen virtuellen Raum für den Betrachter eröffnet.

 

Transformiert in ihr spezifisches künstlerisches Medium zeigt Ute Lehmann mit dieser Serie Standards der Kommunikation auf: das gleichberechtigte Nebeneinander („Wir“ und „Gleich“), den beiläufigen Austausch („Hi“), Einschränkungen und Übergriffe („Anders“, „Du nicht“ und „Stop“), wobei sie es der Phantasie des Betrachters überlässt, Analogien im eigenen Lebenshorizont aufzuspüren. Kommunikation könnte ja etwa auch funktionieren, wenn eine persönliche Begegnung mit dem Gegenüber gar nicht gewollt ist. Zum Beispiel könnte sich ein Autist, der gar keinen persönlichen Kontakt wünscht, ohne weiteres einer mediengebundenen Form der Kommunikation, also einem „Zeichenaustausch“ im ursprünglichen Wortsinn, bedienen, um trotzdem als „Sender“ und „Empfänger“ zu fungieren.

Ute Lehmann bleibt mit ihren neuesten Arbeiten zwar ihrer Arbeitsweise der formalisierten Umsetzung außerkünstlerischer Sachverhalte treu (die fein gearbeiteten Fortsätze ihrer neuen Objekte wirken mit ihren Spitzen eigentlich wie eine Weiterentwicklung der „Akren“ in ihren Keramikskulpturen), aber die Interpretation ihrer neuen bildnerischen Lösungen – im Gegensatz zur stummen Archaik ihrer anthropoiden Figuren – legt sie sehr wohl auf plakative Aussagen (im Sinne der Subscriptio in der barocken Emblematik) fest.